Wie sind Generalversammlungen durchzuführen?
Wie sind Gesellschafterversammlungen in der Corona-Krise abzuhalten?
Der Bundesrat sieht in der Verordnung 3 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 3) eine Regelung für die Durchführung von Versammlungen von Gesellschaften vor. Diese Massnahme gilt insbesondere für Aktiengesellschaften, GmbH, Genossenschaften und Vereine.
Gemäss dieser Regelung kann der Veranstalter (das zuständige Organ der juristischen Person) ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung ihre Rechte ausschliesslich auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form oder durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter ausüben können. Damit kann das Recht auf physische Teilnahme an der Versammlung vorübergehend ausgeschlossen werden. Der Veranstalter muss die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spätestens vier Tage vor der Durchführung der Versammlung schriftlich über diese Massnahme informieren. Anstelle einer schriftlichen Information kann der Veranstalter die Massnahme auch mindestens vier Tage vor der Versammlung elektronisch veröffentlichen (z.B. mittels Aufschaltung auf der Homepage der juristischen Person).
Ist trotzdem eine physische "Restversammlung" abzuhalten?
Ja. Abgesehen vom physischen Ausschluss der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat das zuständige Organ der juristischen Person die Versammlung wie in der Einberufung vorgesehen an einem bestimmten Datum, zu einer bestimmten Uhrzeit und an einem bestimmten Ort durchzuführen. Das bedeutet also, dass das zuständige Organ (z.B. der Verwaltungsrat einer AG) zusammen mit einem Protokollführer/Stimmenzähler und eventuell zusammen mit dem Stimmrechtsvertreter, der Revisionsstelle und dem Notar eine Versammlung ohne Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchzuführen hat. Die Beschränkung auf maximal 5 Personen kommt hier nicht zur Anwendung, da es sich nicht um eine Menschenansammlung im öffentlichen Raum handelt. Als Alternative dazu scheint denkbar, dass der Vorsitzende des zuständigen Organs die Gesellschafterversammlung alleine durchführt (Auszählen der eingegangenen Stimmen; Festhalten des Ergebnisses im Protokoll) und die weiteren Beteiligten (Mitglieder des zuständigen Organs, Protokollführer/Stimmenzähler, Stimmrechtsvertreter, Revisionsstelle, Notar) elektronisch an der Versammlung teilnehmen, sofern deren Identifikation auf elektronischem Weg sichergestellt werden kann.
Wie haben die Teilnehmer ihre Rechte auszuüben?
Massgebend ist die Anordnung des zuständigen Organs. Nach Massgabe dieser Anordnung haben die Teilnehmer ihre Rechte wie folgt auszuüben:
- entweder auf schriftlichem Weg: dies bedeutet Stimmabgabe per eigenhändig unterzeichneter Briefpost oder mittels qualifizierter elektronischer Signatur;
- oder in elektronischer Form: dies bedeutet dass die Generalversammlung insbesondere per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden kann, wobei sichergestellt sein muss, dass jeder Teilnehmende identifiziert/authentifiziert wird und die Möglichkeit hat, sich an der GV zu äussern und seine Stimme abzugeben. Nach Auffassung des Bundesamts für Justiz genügt eine Stimmabgabe per E-Mail nicht.
- oder durch einen vom Veranstalter unabhängigen Stimmrechtsvertreter.
Besteht die Möglichkeit, die Gesellschafterversammlung zu verschieben?
Kann die GV trotz Anordnung der Massnahmen gemäss der COVID-19-Verordnung 3 nicht durchgeführt werden, beispielsweise weil sich die Krisenlage weiter verschärft, besteht als letzte Option noch immer die Möglichkeit, die Gesellschafterversammlung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Zwar sehen das Gesetz oder die Statuten bisweilen vor, dass die Gesellschafterversammlung innerhalb einer bestimmten Frist abzuhalten ist (so muss z.B. die Generalversammlung einer AG gemäss Art. 699 Abs. 2 OR innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfinden). Hierbei handelt es sich allerdings bloss um eine Ordnungsfrist. Wird diese Ordnungsfrist nicht beachtet, so macht dies weder die Versammlung ungültig noch die gefassten Beschlüsse anfechtbar. Aus diesem Grund könnte die Gesellschafterversammlung im Notfall auch noch in der zweiten Jahreshälfte durchgeführt werden.
Gilt diese Massnahme auch für die Versammlung der Stockwerkeigentümer?
Das Stockwerkeigentumsrecht enthält in Art. 712m Abs. 2 ZGB einen subsidiären Verweis auf das Vereinsrecht. Aus diesem Grund dürfte die vom Bundesrat getroffene Massnahme auch für die Versammlung der Stockwerkeigentümer gelten. Das Bundesamt für Justiz teilt diese Auffassung. Die Massnahme anzuordnen hat der Verwalter der Stockwerkeigentümergemeinschaft.
Gilt diese Massnahme auch für Verwaltungsrats- oder Vorstandssitzungen?
Nein, nach Auffassung des Bundesamts für Justiz lässt sich diese Massnahme nicht auf Sitzungen der Organe von juristischen Personen wie Verwaltungsrats- oder Vorstandssitzungen ausweiten. Der Verwaltungsrat hat aber die Möglichkeit, Beschlüsse auf dem Zirkulationsweg zu fassen (Art. 713 Abs. 2 OR). Ob diese Möglichkeit auch für den Vereinsvorstand besteht, beurteilt sich nach den Vereinsstatuten.
Wie lange gilt diese Massnahme?
Aktuell ist diese Massnahme befristet bis zum 31. Dezember 2021. Massgebend ist der Zeitpunkt, in dem das zuständige Organ die Massnahmen gemäss der COVID-19-Verordnung 3 anordnet (Datum des Poststempels bzw. der elektronischen Veröffentlichung), selbst wenn die Gesellschafterversammlung allenfalls erst nach dem 31. Dezember 2021 durchgeführt wird.
Diese Fragen und Antworten haben ausschliesslich informativen Zweck und können eine Rechtsberatung nicht ersetzen. Die Rudolf & Bieri AG lehnt jede Haftung für diese Informationen ab. Bei Bedarf beraten wir Sie gerne persönlich.
Emmenbrücke, den 24. September 2020