Zankapfel Arbeitszeugnis – muss meine Chefin/mein Chef mir ein gutes Arbeitszeugnis ausstellen?
Nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses entbrennt nicht selten ein Streit über das Arbeitszeugnis, insbesondere über dessen Inhalt. Viele Arbeitnehmende sind sich jedoch nicht bewusst, dass bereits während eines laufenden Arbeitsverhältnisses ein Zeugnisanspruch besteht. Nachfolgend werden die wichtigsten Aspekte eines Arbeitszeugnisses beleuchtet.
1. Kann ich zu jeder Zeit ein Zeugnis verlangen?
Art. 330a OR sieht vor, dass die Arbeitnehmenden vom Arbeitgeber jederzeit ein Zeugnis verlangen können, welches sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über ihre Leistungen und ihr Verhalten ausspricht. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis beendet wurde, d.h. auch im Sinne eines Zwischenzeugnisses bei einem fortdauernden Arbeitsverhältnis. Wichtig ist allerdings, dass dieser Anspruch erst auf Verlangen des Arbeitnehmenden entsteht.
Art. 330a Abs. 1 OR spricht von einem Vollzeugnis. Gemäss Art. 330a Abs. 2 OR kann indessen auch ein Teilzeugnis, d.h. eine sogenannte Arbeitsbestätigung, verlangt werden, welche sich einzig zur Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses äussert.
Geht ein Arbeitszeugnisses verloren, hat der Arbeitnehmende grundsätzlich das Recht, ein Duplikat oder – falls dieses nicht mehr vorhanden ist – ein möglichst inhaltlich übereinstimmendes Exemplar anzufordern.
2. Wie muss der Inhalt eines Zeugnisses ausgestaltet werden?
Die sogenannte Arbeitsbestätigung (Art. 330a Abs. 2 OR) beschränkt sich auf die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, während das Vollzeugnis zusätzlich noch Aussagen über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmenden enthält. Ein Vollzeugnis sollte in der Regel folgende Punkte umfassen:
- Bezeichnung des Arbeitnehmenden und Arbeitgeber:in
- Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses
- Beschreibung des Unternehmens
- Auflistung der wichtigsten Tätigkeiten des Arbeitnehmenden
- Bewertung der Leistung des Arbeitnehmenden
- Aussagen zum Verhalten (gegenüber Mitarbeitenden, Vorgesetzten, Kund:innen)
- Ausstellungsdatum und Unterschrift der Arbeitgeber:in
Das Vollzeugnis muss vollständig sein, d.h. die vorstehenden Punkte abdecken. Grundsätzlich hat das Arbeitszeugnis wohlwollend formuliert zu sein, um das berufliche Fortkommen zu fördern. Gleichzeitig muss es ebenfalls dem Grundsatz der Wahrheit entsprechen. Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmende Anspruch auf ein objektiv wahres und nicht auf ein gutes Arbeitszeugnis hat; der Grundsatz der Wahrheit geht dem Grundsatz des Wohlwollens vor.
Zudem muss das Arbeitszeugnis frei von Codierungen sein. Diese verstossen gegen den Grundsatz der Zeugnisklarheit und den jede Datenbearbeitung beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben.
3. Dürfen auch negative Vorkommnisse erwähnt werden?
Negative Aspekte dürfen nur insofern im Zeugnis erwähnt werden, als sie in einem Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis stehen und ihnen in der Gesamtbetrachtung eine gewisse Wesentlichkeit zukommt. Eine einmalige Unpünktlichkeit bei ansonsten sehr zuverlässigem Verhalten sollte beispielsweise nicht erwähnt werden, während regelmässige Verspätungen im Sinne der Wahrheitspflicht aufgeführt werden können.
4. Haben die Arbeitnehmenden Anspruch auf eine gewisse Formulierung?
Die Formulierung des Arbeitszeugnisses ist Sache der Arbeitgeber:in, welchem ein grosses Ermessen bei der Wahl des Wortlauts zukommt. Im Rahmen der vorgenannten Grundsätze ist er/sie grundsätzlich frei, das Arbeitszeugnis zu redigieren. Der Arbeitnehmende hat keinen Anspruch auf einen bestimmten Zeugnisinhalt oder von ihm gewünschte Formulierungen. So kann der Arbeitnehmende keine Bedauernsbekundungen im Arbeitszeugnis klageweise durchsetzen. Ein/e Arbeitgeber:in kann folglich nicht gegen seinen Willen dazu verpflichtet werden, Bedauern und Dank zu bescheinigen.
5. Welches Datum muss im Arbeitszeugnis erwähnt werden?
In der Regel decken sich das End- und Ausstellungsdatum mit dem letzten Arbeitstag bzw. dem letzten Tag des Vertragsverhältnisses. Streitigkeiten können allerdings bei (ungerechtfertigten) fristlosen Kündigungen entstehen. Zumindest im Falle einer ungerechtfertigten fristlosen Entlassung ist gemäss Lehre und Rechtsprechung nicht das wirkliche Beendigungsdatum anzugeben, sondern der Tag, an dem das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist ordentlich geendet hätte.
6. Kann ich meinen Zeugnisanspruch klageweise durchsetzen?
Falls der/die Arbeitgeber:in kein Zeugnis ausstellt oder ein unvollständiges Zeugnis vorlegt, kann der Arbeitnehmende seinen Zeugnisanspruch gerichtlich durchsetzen. Wird überhaupt kein Zeugnis ausgestellt, kann entweder nur auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses oder auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses mit einem konkreten Inhalt geklagt werden.
Bei der Klage auf Abänderung eines ausgestellten Arbeitszeugnisses muss der Arbeitnehmende den gewünschten Text selbst formulieren und beweisen, dass eine andere Formulierung gerechtfertigt ist.
Empfehlung und Fazit
Es empfiehlt sich als Arbeitnehmer:in bereits während eines laufenden Arbeitsverhältnisses regelmässig ein Arbeitszeugnis zu verlangen – vor allem bei häufigem Wechsel der vorgesetzten Person oder bei Veränderung der eigenen Funktion. Anschliessend sollte das Zeugnis kritisch daraufhin überprüft werden, ob es den Grundsätzen von Wohlwollen, Wahrheit, Vollständigkeit und Klarheit entspricht. Die Spezialist:innen der Rudolf & Bieri AG im Bereich Arbeitsrecht unterstützen Sie gerne im Zusammenhang mit Fragen rund um Ihr Arbeitszeugnis.
Der Beitrag hat ausschliesslich einen informativen Zweck und kann eine Rechtsberatung nicht ersetzen. Die Rudolf & Bieri AG lehnt jede Haftung für diese Informationen ab. Bei Bedarf beraten Sie unsere Spezialist:innen gerne persönlich.
24.02.2025, Sabrina Klabovszki