Kann ich nach Abschluss eines Erbvertrages noch über mein Vermögen frei verfügen?
Spätestens in der dritten Lebensphase ist die Frage zu beantworten, ob die gesetzlich vorgesehene Verteilung des Vermögens im Todesfall den eigenen Vorstellungen entspricht oder nicht. Oft wird mit einer letztwilligen Verfügung (Testament) oder mittels eines Erbvertrags die gesetzliche Regelung den eigenen Vorstellungen und Wünschen angepasst. Das Besondere beim Erbvertrag ist dabei, dass sich eine Person vertraglich verpflichtet, dem Vertragspartner oder einem Dritten seine Erbschaft oder einen Anteil davon zu hinterlassen (Art. 494 Abs. 1 ZGB). Demgegenüber kann bei einem Testament die verfügende Person jederzeit selbst bestimmen, ob sie das Testament wieder aufheben oder abändern möchte. Die Nachlassverteilung zwischen Ehepartnern und Konkubinatspartnern und die Verteilung des Nachlasses beim Tode des überlebenden Partners werden oft in Erbverträgen unter Mitwirkung der gemeinsamen oder der nicht gemeinsamen Kindern geregelt. Der Erbvertrag gehört somit zu den Instrumenten einer Nachlassplanung, ebenso wie etwa der Erbverzichtsvertrag von Nachkommen zu Gunsten des überlebenden Elternteils.
Führen die erbvertragliche Bindung und die erbvertragliche Verpflichtung nun dazu, dass sich die verfügende Person einschränken muss und sie nicht mehr frei über sein Vermögen verfügen kann?
Ja und nein. Art. 494 Abs. 2 ZGB bestimmt ausdrücklich, dass die erblassende Person über das Vermögen frei verfügen kann. Sie kann Güter verkaufen, verbrauchen, verschleudern, verkommen lassen oder verschenken. Somit ist jede Person auch weiterhin berechtigt ihren bisherigen Lebensstandard zu finanzieren, Reisen zu unternehmen und ihren Hobbys zu frönen. Jedoch hat nun der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des revidierten Erbrechts zwei Einschränkungen dieser Freiheit zementiert; dies allerdings mit Ausnahmen. Diese neue gesetzliche Regelung gilt dabei für alle Todesfälle ab dem 1. Januar 2023, unabhängig davon wann ein Erbvertrag abgeschlossen wurde.
Zum einen sind grundsätzlich sämtliche Zuwendungen unter Lebenden nach Abschluss eines Erbvertrages anfechtbar. Darunter sind Schenkungen, Forderungsverzichte, unentgeltliches Wohnen etc. ebenso zu verstehen wie Zuwendungen aus Eheverträgen. Bei Eheverträgen mit Meistbegünstigungsklauseln oder Gesamtgutszuweisungen nach Abschluss eines Erbvertrags ist somit Vorsicht geboten. Solche Zuwendungen bleiben jedoch trotz Erbvertrag weiterhin unanfechtbar, wenn diese im Erbvertrag ausdrücklich als zulässig bezeichnet wurden (Vorbehaltsklausel). Zulässig sind auch weiterhin übliche Gelegenheitsgeschenke. Für die Beurteilung, was noch Gelegenheitsgeschenke darstellen, sind die Gepflogenheiten in einer Familie sowie die persönlichen und finanziellen Verhältnisse massgebend.
Zum andern sind nebst den Zuwendungen unter Lebenden auch spätere letztwillige Verfügungen oder Erbverträge, welche die Ansprüche aus dem ursprünglichen Erbvertrag schmälern, anfechtbar. Mit einem Erbvertrag nicht vereinbar sind somit spätere Verfügungen, welche die Ansprüche aus dem ursprünglichen Erbvertrag vermindern, belasten, beschränken oder sonstwie verändern. Auch hier besteht eine Ausnahme dann, wenn die Zulässigkeit solcher letztwilligen Verfügungen oder Erbverträge bereits im Erbvertrag vereinbart wurde (Vorbehaltsklausel).
Von Bedeutung ist, dass bei einer dem Erbvertrag widersprechenden unentgeltlichen Zuwendung oder bei einem dem Erbvertrag widersprechenden Testament immer die aus dem Erbvertrag begünstigte Person anfechten und damit klagen muss.
Im Bereich der Nachlassplanung, im Bereich der erbrechtlichen Vertrags- und Testamentsgestaltungen sowie für rechtliche Begleitungen in Erbfällen und für erbrechtliche Fragen stehen ihnen die Spezialist:innen der Rudolf & Bieri AG gerne zur Verfügung.
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2. August 2024, Urs Rudolf